Dies ist Teil 3/3 eines Erfahrungsberichts zur Teilnahme an einem alpinen Ultramarathon mit 128km Länge, der den Autor in fast 30 Stunden über Stock und Stein, Wald und Wiese führte. Der Artikel ist Zeugnis, wozu etwas Übergewicht und ein brennendes Verlangen führen können. [Lesezeit: ca. 15 min]
Teil 1 des Artikels finden Sie hier.
Teil 2 des Artikels finden Sie hier.
Das letzte Viertel
Wir schlugen uns also weiter tapfer und langsam brach auch die Dämmerung herein. An manchem Verpflegungsstopp gab es ein schönes, wärmendes Lagerfeuer. Solche Wohltaten nahmen wir natürlich dankbar an. An so gut wie jedem dieser Stopps wurde uns wieder aufs Neue bewusst, dass wir – auch wenn wir immer so ziemlich die letzten innerhalb des Zeitlimits waren – doch eine respektable Leistung vollbrachten. Das stellten wir daran fest, dass wir an jedem Versorgungspunkt einen oder gar mehrere Läufer antrafen, die – meist völlig ausgepumpt – das Handtuch schmissen. Wir versuchten, den Einen oder Anderen zum Weitermachen zu animieren: „Mach doch weiter bis zum nächsten Versorgungspunkt und entscheide dann, ob es noch geht. Denk’ von Stopp zu Stopp“. Das hörte sich für mich logisch an, denn es waren in der Regel ja ‚nur’ 5-8 km zwischen den verschiedenen Stationen und es ging ab jetzt auch meist bergab. Ich konnte es mir einfach zumindest für mich beim besten Willen nicht vorstellen, nach so vielen Kilometern das Handtuch zu werfen. Ja, auch ich hatte gerade ein Tief hinter mir, während dem sich negative Gedanken im Kopf breit machten. Aber aufgeben?? Nach so vielen km?? Niemals.
Um 08:00h kamen wir dann wieder an einer Station mit Zeitmessung an. Oh, Wunder! Wir waren eine ganze halbe Stunde vor Ablauf des Zeitlimits von 08:30h an der Station bei km 112 angelangt. In Anbetracht der Hetzjagd bei den letzten Zeitlimits war das wirklich schon irgendwie Luxus. Aber: das nächste Ziel hieß nun ‚Zieleinlauf’ und die verbleibende Strecke waren etwa 16 km. Diese galt es bis 12:00h mittags zu absolvieren. Während es auf der Strecke möglich war, auf kulante Behandlung zu hoffen (siehe ‚ausgleichende Gerechtigkeit’ in Teil 2 dieses Artikels) so würde das freilich im Ziel nicht möglich sein, falls man über die offizielle Zeitgrenze hinaus kommen sollte. 16 km: auf den ersten Blick sah dies mehr als machbar aus.
Ich weiß nicht, ob ich einfach nur gestresst war aufgrund meines körperlichen Zustands (auch wenn es mir in der Zwischenzeit im Vergleich zu 04:00 morgens besser ging) oder ob ich einfach nur aufgrund des bisherigen Kampfs gegen die Uhr keine Zeit verlieren wollte. Auf jeden Fall wollte ich mich am letztgenannten Versorgungspunkt nicht zu lange aufhalten. Michalis, mein treuer Laufkollege, hatte aber irgendwie das Bedürfnis, sich erst einmal ein wenig ins Gras zu legen. Ich muss noch anfügen, dass mir in der Zwischenzeit auch mein rechter Fuß weh tat, also in der Beuge am Übergang vom Fuß zum Schienbein. Laufen war also nicht mehr wirklich drin, und wenn, dann nur unter merkbaren Schmerzen. Ich ließ Michalis also wissen, dass ich schon mal voraus gehen werde. Er schien im Vergleich zu mir keine Schmerzen zu haben. Also machte ich mich auf den Weg. Kaum unterwegs, machte ich mir auch schon Sorgen, ob das Zeitlimit zu schaffen sei. Mein Hirn arbeitete nicht ausreichend, um vernünftige Berechnungen anzustellen. Da ich keine Laufuhr mit GPS dabei hatte, da die Batterie dieses lange Rennen sowieso nicht durchgehalten hätte, hatte ich auch keine verlässliche Angabe, wie schnell ich zu diesem Zeitpunkt pro km unterwegs war.
Also legte ich einen Zahn zu und lief, soweit es ging. „Es muss einfach gehen“, sagte ich mir, „auch wenn es schmerzt. Jammern und ausruhen kann ich dann immer noch, wenn das Rennen erfolgreich absolviert ist“. Nach nicht allzu langer Zeit traf ich auf einen weiteren Läufer. Er meinte, dass wir das zeitlich locker schaffen sollten. „Bis um 10h sind wir durch’s Ziel“, meinte er. „Super,“ dachte ich mir, „dann brauche ich mich ja jetzt nicht mehr so stressen und kann wieder etwas langsamer machen“. Michalis war noch nicht in Sicht, aber ich war auf den ersten km nach unserer ‚Trennung’ doch vergleichsweise flott unterwegs. Nach einer weiteren Weile, es war wenn ich mich recht erinnere schon 10:00h, überholte mich ein Läufer. Er fragte mich, ob wir das Zeitlimit wohl schaffen werden. Ich wiederholte lediglich, was mir der vorherige Läufer gesagt hatte. Dieser Läufer jedoch war da nicht so positiv. Er rechnete mir vor, dass wir noch etwas über so und so viele km hätten und wir, wenn wir nicht so und so schnell pro Stunde laufen würden, eigentlich eine Chance hätten im Zeitlimit zu bleiben. Da war er also wieder, der Zeitstress… ‚willkommen’ zurück.
Es blieb mir also nichts anderes übrig, als wieder in einen Trabschritt überzugehen, die Schmerzen im Fuß ließen nicht mehr zu. Ausserdem meldete sich jetzt auch mein Magenwieder und ich musste, nachdem ich mir vom zuletzt erwähnten Läufer seine Taschentücher gesichert hatte, mal schnell hinter einem Felsen verschwinden. Das konnte noch heiter werden…
Ein moralisches Dilemma kommt selten allein…
In der Zwischenzeit machte ich mir natürlich Gedanken wegen Michalis: ich konnte ihn ja nicht warnen, denn ich hatte keine Ahnung, wie weit er zurück lag. Aber wenn ich selber es nur knapp schaffen sollte, wenn überhaupt, dann würde er es sehr wahrscheinlich nicht schaffen.
Sollte ich auf ihn warten? Würde ich von ihm in seiner Situation erwarten, auf mich zu warten, da wir ja schließlich gemeinsam gekommen und die letzten 27 Stunden gemeinsam gelaufen waren? Als es mir besonders schlecht ging, also um km 100-110, hatte Michalis auch geduldig auf mich gewartet (als ich ab und an am Wegrand verschwinden musste) und sich an meine Geschwindigkeit angepasst. Was für eine Zwickmühle!! Was würde Michalis in meiner Situation tun? Was erwartete er von mir? Was würde jeder andere, moralisch denkende Ultraläufer in dieser Situation tun? War es moralisch richtig und ‚heldenhaft’ auf seinen Kollegen zu warten und die Disqualifizierung zu riskieren, oder wäre das nach so vielen km einfach nur dumm?
Prinzipiell bestand ja noch die Möglichkeit, dass Michalis mich einholen würde, Zeit war noch. Also beschloss ich erst einmal weiter mein Tempo zu gehen. Mir wurde aber bewusst, dass ich neben der moralischen Verpflichtung gegenüber meinem Trainings- und Laufpartner Michalis auch noch andere, eigentlich sogar noch größere Verpflichtungen hatte. Die letzten 6 Wochen waren von viel Training geprägt, da hat man also nicht viel Zeit ausser für Arbeit, Training, Ernährung und Erholung. Eine Kundin meines Arbeitgebers schrieb mir einmal per E-Mail (sie ist auch Marathonläuferin): sie wolle ja nicht indiskret werden, aber wie lasse sich dieses Trainingspensum denn mit der Beziehung vereinbaren. Gute Frage! Antwort: nur mit viel Geduld des Partners und dessen Respekt vor meiner Leidenschaft. Meine bessere Hälfte ist selber keine Läuferin und kann daher die Leidenschaft fürs Laufen, vor allem für Ultraläufe, nur schwer nachvollziehen. Dennoch unterstützt sie mich. Auch lässt sie keine Gelegenheit aus, um vor Freunden auf meine neuesten Erlebnisse beim Langstreckenlauf hinzuweisen.
Napoleon Hill hat mal gesagt: wenn man einen Partner hat, der den anderen Partner vor Anderen öffentlich lobt und Gutes erzählt, dass man sich dann überaus glücklich schätzen könne. Ich denke, das ist bei mir dann der Fall. Also hatte ich verdammt noch mal auch eine moralische Verpflichtung ihr gegenüber! Und diese Verpflichtung war noch größer, als die gegenüber allen anderen,… inklusive Michalis.
Aber da war noch jemand, dem ich am Morgen etwa 1 Stunde vor dem Lauf per E-Mail über mein Handy versprochen hatte, ins Ziel zu kommen.
Eine potentielle Kunden in Kalifornien, mit der ich seit ein paar Wochen in regelmäßigen E-Mail Austausch war, ist auch ein großer Fan von Trail-Laufen. Genauer gesagt: war. Wie ich in unserem E-Mail Austausch erfahren konnte, hatte Sie wohl eine seltene Krankheit. Wenn ich richtig verstanden habe bzw. mich richtig erinnere, ist ihr Oberschenkelknochen verkümmert. Heute ist sie vermutlich an den Rollstuhl gefesselt. Genau weiß ich es nicht, ich habe sie nicht gefragt, aber auf facebook glaube ich auf einem Foto einen Rollstuhl erkannt zu haben.
Für mich als jemand mit einer Leidenschaft für das Laufen ist es natürlich unvorstellbar, nicht mehr laufen zu können. Man nimmt das so als Gegeben hin, aber es könnte an sich jeden Tag vorbei sein: eine Unachtsamkeit, ein Unfall und zack-bumm… Beine unbrauchbar und vorbei ist es mit dem Laufen.
In meiner E-Mail am Vorabend an sie wegen der psychologisch schwierigen Momente in so einem großen Rennen, schrieb ich, dass ich noch auf der Suche bin nach dem einen Motiv schlechthin, das mich in Zeiten des Aufgebens weiter antreiben wird. Sie meinte, sie habe keine Bedenken und dass ich das auf jeden all schaffen werde. Ausserdem meinte sie, dass ich auch für sie und alle anderen laufen werde, die gerne laufen würden aber nicht können. Ich solle also in diesen Momenten an diese Personen denken.
Wow, das war es, das Motiv das ich brauchte und wonach ich suchte! Dies war mir schon vor dem Rennen klar, dass mir dieser Gedanke helfen würde. In der Tat hatte ich Michalis mehrmals während des Rennens auf diesen Motivator hingewiesen und ihm gesagt, dass wir auch für diese Menschen laufen und daher ins Ziel kommen werden.
Die moralischen Verpflichtungen gegenüber meiner Verlobten als auch meiner ‚Motivatorin’ waren nun stärker als die Verpflichtung gegenüber Michalis. Ich war mir sicher, dass er es verstehen würde. Und dann war da ja noch etwas:
Am Vortag hatte ich mir überlegt, was ich im Zieleinlauf machen könne. Bei größeren Rennen mache ich oftmals irgend etwas beim Zieleinlauf, meistens irgendetwas ‚Blödes’, wie z.B. mit meinen Laufstöcken Luftgitarre spielen, im Handstand einlaufen, vor der Ziellinie tanzen,… Dieses Mal wollte ich meine bessere Hälfte durch eine Widmung würdigen, auch wenn sie selber nicht anwesend sein würde. Also nahm ich ein weißes T-Shirt und schrieb auf die Vorderseite auf Griechisch (Übersetzung):
Wir sagen
„Danke“
an unsere Frauen…
und auf die Rückseite:
… und
„Danke“
an die Freiwilligen!
Ich war in diesem Falle einfach mal so frei und habe im Namen aller (männlicher) Läufer gesprochen. Ohne die Unterstützung unserer Partner, praktisch oder moralisch, sowie die Unterstützung der Freiwilligen wäre das alles kaum möglich. Also hatten sie es verdient, dass man sie würdigt und dazu musste ich innerhalb der Zeit ins Ziel einlaufen.
Aber noch war ja die Uhr nicht abgelaufen und wer weiß, vielleicht würde Michalis noch aufschließen. Für den Fall der Fälle aber fasste ich folgenden Plan: an der letzten offiziellen Station, ein paar km vor Schluss, sagte ich zu einem der Streckenposten:
„In absehbarer Zeit wird jemand mit der Nummer 374 vorbeikommen, sein Name ist Michalis. Bitte richte ihm aus, wie viele Minuten Vorsprung ich auf ihn habe. Richte ihm bitte ausserdem aus, dass ich vor der Ziellinie auf ihn warten werde, bis 5 Sekunden vor Schluss, da ich ein paar Verpflichtungen habe, die ich einhalten muss.“
Ja, dies erschien mir wir wie eine vernünftige Alternative und ich hoffte, dass er Verständnis haben würde, auch wenn er selber nicht innerhalb des Zeitlimits finishen sollte. Gerade als ich aufbrechen wollte sah ich ihn an der Verpflegungsstation auftauchen: Michalis!! Genial, wir konnten also die letzten km doch noch gemeinsam abschließen :) Und zeitlich deutete jetzt auch alles darauf hin, dass wir gut in der Zeit lagen.
Die letzten km: Wo ist der Pfarrer!?
Die ersten 1-2 km des letzten Abschnitts waren noch mal von einer fiesen Steigung geprägt, die sich in mehrere Steigungen aufteilte. Immer wenn man meinte, jetzt sei’s geschafft, war da noch eine. Insgesamt waren es davon 5 oder 6… Endlich aber schlängelten sich die letzten km dann sanft ins Start-/Zieldorf Paranesti hinab. Die letzten 2-3 km waren psychologisch aber nicht einfach, denn mein rechter Fuß machte mir jetzt das Leben durchaus schwer und die km wollten irgendwie nicht verrinnen. Mittlerweile liefen wir auch nicht mehr sondern gingen. Beim letzten Versorgungspunkt hatten wir uns zu einer kleinen ‚Truppe der letzten Eintrudler’ zusammen geschlossen, also 4 Läufer und 1 Läuferin. Wir wussten, dass wir die letzten waren innerhalb des Zeitlimits. Wie viele letztlich durchgehalten hatten wussten wir nicht.
Wie gesagt, die letzten 2-3 km wollten einfach irgendwie nicht verrinnen und ich hatte dann auch den Pfarrer des Dorfes auf dem Kicker. Einer aus unserer Gruppe erzählte, dass der Dorfpfarrer es der Rennorganisation nicht gestattet hatte, dass der Weg an der Dorfkirche vorbei geht, weil er keinen so großen ‚Zirkus’ um seine Kirche haben wollte. Was will man dazu sagen… Also ist die letztliche Strecke 800m länger. 800m, das sind gerade mal 2 Runden im Stadion, also lächerlich wenig, generell als auch im Vergleich zu den bereits absolvierten 126 km. Aber in jenem Moment hätte ich dem Dorfpfarrer gerne gehörig meine Meinung gegeigt. 800m! Das war ja fast ein ganzer km, und in meinem Zustand war 1 km eine Menge Holz!!
Aber es half ja alles nichts. Es musste weiter gehen und ich wusste ja, dass mich jeder (schmerzhafte) Schritt dem Ziel näher bringt.
Bei km 126, als man das Dorf langsam ausmachen konnte, befasste ich mich zum ersten Mal etwas mehr mit dem Gedanken des Zieleinlaufs. „Wir werden es tatsächlich schaffen, beim unserem ersten Versuch. Ja, wir werden es verdammt noch mal schaffen! J“, waren so ungefähr meine Gedanken. Und die Gedanken daran, dass es zum einen bald/endlich geschafft sein würde wie auch, dass wir bald unsere Medaille in Empfang nehmen werden können, war ein sehr bewegender Gedanke. Ich spürte, 2km vor dem Ziel, dass ich mit den Tränen zu kämpfen hatte. Ich sagte zu Michalis: „Michalis, Du kannst Gift darauf nehmen, dass ich ihm Ziel heulen werde. Ich kann mich jetzt schon kaum mehr zurück halten, obwohl wir noch 2km vom Ziel entfernt sind“.
Noch ein paar hundert Meter trennten uns vom Ziel. 200 m vor dem Ziel streifte noch das angefertigte T-Shirt über, denn der große Moment war gekommen. Ausserdem verwendete ich natürlich meine GO PRO Kamera, um die letzten Meter aufzunehmen. Es war in der Tat bewegend und wie schon vorausgesagt übermannten mich die Gefühle und die Tränen begannen zu kullern. Eigentlich schade, denn anstatt mit fröhlichem Gesicht einzulaufen bot ich eher eine traurige Gestalt. Aber so ist das halt nach 128km… :) (sorry, leider recht wackelig weil nur recht lose in der Hand gehalten)
Nach 29 Stunden und 28 Minuten hatten wir also das Ziel erreicht, etwas mehr als eine halbe Stunde unter dem Zeitlimit von 30 Stunden. Von etwas unter 300 Teilnehmern haben es 149 letztlich auch ins Ziel geschafft. Ich war Nummer 149 :)
Den Zuschauern war wohl bekannt, dass wir die Letzten sein würden, die innerhalb des Zeitlimits eintrafen. Gerüchte besagen, dass unsere 5er Gruppe, nach dem Sieger den meisten Applaus bekommen haben soll :)
Ach ja: der Erstplatzierte, ein in der lokalen Ultraszene bekannter Grieche, hat das Rennen in 13 Stunden und 58 Minuten Stunden gewonnen, mit über einer Stunde Vorsprung auf den Zweitplatzierten (!). Es wäre einfach zu sagen: wow, ich beneide ihn. Ich beneide ihn insofern, dass er scheinbar die Möglichkeit hat, sich seiner Leidenschaft dem Laufen verschrieben zu haben und dass er vermutlich davon leben kann. Dies ist etwas, um das ich ihn in der Tat beneide. Auf der anderen Seite kann ich aber auch ganz klar sagen, dass er nur die Hälfte an Spaß gehabt hat (da er ja doppelt so schnell unterwegs war wie wir): die Strecke durch den Wald hat er ja komplett im Tageslicht absolviert. Aber was war gerade das für ein interessantes Erlebnis, also die komplette Nacht im Wald unterwegs zu sein!
Es hat, wie man sieht, alles seine Sonnen- und Schattenseiten und auf welcher Seite man sich befindet hängt auch stark davon ab, welche mentale Einstellung der Einzelne hat. Ich versuche mich, bewusst für die Sonnenseite zu entscheiden und auch im scheinbar Negativen etwas Positives zu finden. Beigetragen hat das sicherlich das Studium der Philosophie von Napoleon Hill, den ich nicht versäumen möchte hier noch einmal zu erwähnen. Das klappt natürlich nicht immer, aber bei kontinuierlicher Anwendung immer öfter/besser. Einzig mein rechtes Bein bzw. besagter Übergang von Fuß zu Schienbeinknochen scheint zumindest einen kleineren Schaden abbekommen zu haben: bei stärkeren Dehnungen nach unten oder oben spüre ich auch 4 Wochen danach noch etwas, das ich zwar schwer als Schmerz definieren kann, aber als etwas, das nicht normal ist bzw. vorher nicht da war. 4 Wochen nach dem Lauf habe ich auch wieder mit dem Laufen begonnen. Nach 3 Läufen zwischen 5 und 10km machen sich beim oder nach dem Laufen keine Probleme an besagter Stelle bemerkbar. Aber das komische Gefühl in jener Beuge bei Dehnungen bleibt bestehen. Sollte unter den Lesern jemand eine ‚Ferndiagnose’ wagen können, bitte gerne her damit. Ich weiß: ein Orthopäde wäre die bessere Alternative. Allerdings habe ich gewisse Bedenken auf einen Orthopäden zu treffen, der nicht viel mit Laufen am Hut hat und mir sagt, ich müsse das Laufen einstellen (worst case-Szenario). Wer das Buch Born to Run oder ähnliche Geschichten kennt, kann die Bedenken vielleicht teilen.
Fazit
Nach wie vor suche ich nach dem einen Begriff, der das Gesamterlebnis in einem Wort beschreibt. Vermutlich ist das auch nicht möglich. Es waren ja viele Gefühlseindrücke dabei, von positiv bis weniger positiv, wobei das Positive zweifellos überwiegt. Vielleicht ist ‚überwältigend’ kein schlechter Begriff dafür.
Mit Sicherheit kann ich sagen, dass mich dieses Erlebnis noch mehr mit dem Laufen verbunden hat. Sicherlich wäre es angenehmer, ohne den ständigen Zeitdruck laufen zu können. Aber so ist das nun mal in solchen Wettbewerben. Hätte man die Möglichkeit, so einen Lauf auf eigene Faust und ohne Zeitdruck zu machen, so wäre das unter Umständen noch ein intensiveres Erlebnis, weil dann der Wettbewerbscharakter wegfällt und man sich auf das Laufen an sich konzentrieren kann. Andererseits ist gerade die Atmosphäre in so einem organisierten Rennen etwas Besonderes, davon abgesehen, dass man sich nicht großartig darum kümmern muss, wo man Wasser und Nahrung her bekommt.
Der eingangs in Teil 1 schon erwähnte Spruch vom herausragenden Leichtathlet Emil Zátopek (1922-2000)
„Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft“
wurde mir während dieses Laufs erneut wieder sehr bewusst. Ich bin mehr denn je davon überzeugt, dass das Laufen in der Natur des Menschen liegt (es müssen ja nicht unbedingt 100+ km sein). Unser Körper lechzt meines Erachtens geradezu danach, dass wir uns ab und an die Schuhe schnüren und ein wenig drauf los laufen. Leider werden sich viele Menschen dieses Bedürfnisses nicht bewusst, weil die Signale des Körpers ja nicht lauten: „Hey Du, lauf mal ein bisschen!“. Ich denke aber, dass gerade Antriebslosigkeit und Depression durch das Laufen gemildert und vielleicht sogar geheilt werden können. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass gerade diese beiden Gemütszustände ein Ruf des Körpers nach mehr Bewegung sind. Es ist ja wissenschaftlich bewiesen, dass das Laufen gewisse Stoffe im Gehirn freisetzt, die denen von Drogen gleichkommen. Dies erklärt vielleicht auch, warum das Laufen eine bewährte Therapie bei der Bekämpfung von Drogensucht darstellt.
Der Spruch von Zátopek ist mittlerweile auch mein Antwort auf die Frage, warum ich laufe bzw. was mich dazu antreibt.
In diesem Sinne wünsche ich Dir, lieber Leser und (zukünftiger) Läufer, viele erinnerungswürdige Kilometer!
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„Man hört nicht auf zu Laufen, weil man alt wird;
man wird alt, weil man mit dem Laufen aufhört“
(Christopher McDougall, Autor von ‚Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt’)