Low Carb High Fat, also relativ wenig Kohlenhydrate und relativ viel Fett, erfreut sich steigender Beliebtheit. Was steckt dahinter, für wen ist es (nicht) geeignet, und welche Mythen können wir hinter uns lassen?
Wie funktioniert Low Carb High Fat (LCHF)?
Vielen unter uns ist die alte Ernährungspyramide der Deutschen Gesellschaft (DGE) für Ernährung noch gut in Erinnerung. Die Basis bildet bekanntlich vieles, das reich an Kohlenhydraten ist, vor allem Getreideprodukte (Kohlenhydrate Brot etc). Fette in Form von Fleisch gibt es dort nur selten. Wer dieses Mantra der Ernährungspyramide über die Jahre hinweg gehört und ihm gefolgt ist, dem wird die Low Carb High Fat-Bewegung, also (relativ) wenig Kohlenhydrate und (relativ) viel Fett, eher widersinning vorkommen.
Eine Überfütterung mit leeren Kohlenhydraten, wie sie heutzutage normal ist, bringt aber den Blutzucker- und Insulinspiegel in eine zunehmende Achterbahnfahrt. Sie sorgt für zunehmende Fetteinlagerungen an Hüfte und Bauch.
Die Idee hinter Dr. Annika Dahlquists LCHF-Ernährungskonzept war es, die Nahrungsversorgung mit geringen Mengen an Kohlenhydraten zu gestalten. Stattdessen sollte man mehr ‚gesunde‘ Speisefette aufnehmen.
Das LCHF-Konzept nutzt innerkörperliche Mechanismen, die die Einlagerung von Speckpolstern unterlaufen. Indem Du durch eine Ernährungsumstellung die zunehmende Verfettung Deiner Organe und Gefäße verhinderst, sollst Du positive Folgen für die Gesundheit erzielen können. Die Effekte der Ernährungsumstellung stellen sich allerdings erst nach einer mehrwöchigen Umstellungsphase ein. Du nimmst Gewicht ab, ohne Nahrungsmenge oder Kalorienzahl zu reduzieren. Nur der Kohlenhydrat-Anteil in der Ernährung sinkt. Die Fettaufnahme über hochwertige Speisefette ist ebenso essenziell wie eine ausreichende Proteinversorgung.
Die mit der Nahrung aufgenommenen Speisefette, die der Organismus brauchen kann, werden umgehend in Energie umgesetzt. Aus Kohlenhydrate-Quellen zwangsweise hergestellte Fettmoleküle landen jedoch unweigerlich an Bauch und Hüfte.
Der Organismus bewertet diese fälschlicherweise als Notreserve. Er möchte sie folglich nicht wieder hergeben. Die „Low Carb High Fat“-Ernährung bedient also bestimmte innerkörperliche Mechanismen. Sie hebelt andere Mechanismen dafür aus.
Bei einer Ernährung, die weitgehend ohne Kohlenhydrate auskommt und gute Fette statt schlechte Fette beinhaltet, wird man in der Regel mehrere Kilogramm Gewicht verlieren können. Die Einlagerung von Körperfetten aus dem täglichen Kohlenhydratüberschuss unterbleibt. Hochwertige Fettlieferanten liefern dem Organismus Energie für Prozesse, die Energieressourcen erfordern. Aufgenommene Speisefette werden vollständig verbrannt. Dies gilt aber nur, wenn es sich um einfach oder mehrfach ungesättigte Fettarten handelt.
Man spricht diesbezüglich auch von „hormonellem Abnehmen“. Hormone wie das Hormon Leptin (das nicht nur satt sondern auch ‚glücklich und frei‘ macht), das Serotonin oder das Cholezystokinin werden bei einer „Low Carb High Fat“-Ernährung positiv beeinflusst. Leptin wird beispielsweise in größerer Menge produziert als bei einer kohlenhydratreichen Ernährung. Der Insulinspiegel im Blut reduziert sich, sobald Du die Kohlenhydrate-Zufuhr drosselst. Das ständige Auf und Ab zwischen Hungergefühl und Sättigungssignal flacht ab.
Eine LCHF-Ernährung kommt mit wenigen Kohlenhydraten aus (nicht notwendigerweise „keine“ Kohlenhydrate). Nehmen die bereits eingelagerten Fettpolster nach und nach ab, reguliert sich nach einer Weile auch das Hormonsystem. Dieses steuert unter anderem den Sättigungsgrad, den Appetit und das Hungergefühl.
Was sagt die Wissenschaft zu LHCF?
Der Organismus kann lernen, benötigte Energien aus zugeführten Fetten zu beziehen statt aus Kohlenhydrate-Trägern. Das erkannte zuerst Stephen Phinney vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA. Schon in den Achtzigern befasste er sich mit dem Thema.
Bis heute führen Sportler sich stark zuckerhaltige Energygels zu, wenn sie hohe Energieleistungen erbringen müssen. Der Grund: Zuckermoleküle können umgehend in Energie verwandelt werden. Fett müsste erst wieder in leicht verwertbare Energie zurückverwandelt werden.
Es ist aber durch Versuche erwiesen, dass Sportler genauso effektiv im Wettkampf funktionieren, wenn sie eine LCHF-Ernährung pflegen. Triathleten wie Simon Whitfield oder Ultra-Läufer wie Timothy Olson leben nach diesem Konzept. Dem LCHF-Konzept nach nimmt man idealerweise 50 Prozent gute Fette, maximal 25 Prozent Kohlenhydrate und 25 Prozent Proteine zu sich.
Bisher gibt es nur wenige wissenschaftliche Studien, die sich mit der LCHF-Ernährung im Sportkontext befassen. Deutlich mehr Studien befassen sich mit dem Aspekt der Gewichtsabnahme. Leider gehen nicht alle Studienergebnisse in dieselbe Richtung.
Die Forschungsergebnisse sind eher verwirrend als eindeutig. Vermutlich müsste man quellenkritisch hinterfragen, wer der Auftraggeber einer Studie war und welche Interessen und Fragestellungen dahinter standen.
Diverse US-Mediziner warnten, dass der LCHF-Hype eine Welle von Herzerkrankungen nach sich ziehen könne (1, siehe Fußnoten am Ende des Beitrags). Das wäre aber nur der Fall, wenn man statt der guten Fette größere Mengen schlechte Fette – zum Beispiel Transfette – aufnehmen würde.
In Schweden, einem Land in dem LCHF-Diäten großen Zulauf erfahren, sind bisher wohl keine negativen Untersuchungsergebnisse oder erhöhten Herzerkrankungsraten bekannt. Im Gegenteil: Schwedens Gesundheitsminister gibt dem LCHF-Konzept eindeutig den Vorzug vor anderen Ernährungsweisen (2). Dieser Entschluss basiert auf einer zweijährigen Evaluierung von 16.000 Ernährungsstudien durch das unabhängige „Swedish Council on Health Technology Assessment“. Der Titel der Schweden-Studie ist „Dietary Treatment for Obesity“.
Andere medizinische Studien befassen sich mit Vergleichen verschiedener Gewichtungen von Fetten, Kohlenhydraten und Proteinen (3, 4) in der Ernährung. Hier wird die Low Carb-Ernährung vergleichend gegen die LCHF-Ernährung gestellt.
Kann das Low Carb/High Fat-Konzept auch langfristig beibehalten werden?
Den Schweden und dem oben erwähnten Dr. Stephen Phinney (5) zufolge ist das sogar sinnvoll.
Zu beachten ist, dass der Organismus eine gewisse Zeit benötigt, um sich umzustellen. Diese vier bis sechs Wochen können wegen der starken Reduktion von Kohlenhydraten und des erhöhten Verzehrs von Fetten und Proteinen eine erhebliche Umstellung der Lebensgewohnheiten bedeuten. Vorsicht ist angebracht, wenn man sich gerade in einer Lebensphase befindet, in der der Stoffwechsel erhöhte Belastungen stemmen muss. Dazu weiter unter mehr.
Auch das Sättigungsgefühl und der Appetit verändern sich unter der neuen Ernährungsweise. Komplett ohne Kohlenhydrate geht es bei LCHF jedoch nicht zu.
In der Anfangsphase kann die Umstellung auf LCHF eine Herausforderung darstellen. Mittel- und langfristig dürfte sie aber in der Regel den erwünschten Gewichtsverlust erzeugen.
Dabei gesund zu bleiben ist allerdings nur möglich, wenn man ausgewogen isst und mehrfach ungesättigte Fette den Lebensmitteln mit gesättigten und Transfetten vorzieht.
Gute Fette sind einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren aus hochwertigen Pflanzenölen, Nüssen oder fettem Fisch. Schlechte Fette sind Transfettsäuren und gesättigten Fette – beispielsweise tierische Fette oder industriell verarbeitete Lebensmittel, Frittiertes oder Süßwaren, in denen Industriefette verarbeitet werden. Dass es bei dieser Definition der guten und schlechten Fette bzw. auch der guten und schlechten Kohlenhydrate keine 100%ige Übereinstimmung bei den (mehr oder weniger) Experten gibt, dürfte klar sein.
Fakten und Mythen zu LHCF im Überblick
Der logische Menschenverstand sagt: Unsere Gesundheit beruht nie nur auf einer bestimmten Ernährungsweise. Sie ist von zahllosen weiteren Faktoren beeinflussbar. So zeigen Stress, Gene oder Umwelteinflüsse ebenfalls Auswirkungen, die die Effekte einer Ernährungsweise beeinflussen können.
Die Ethnologie der Ernährung untersucht die Ernährungsweise indigener Völker wie der Inuit. Diese ernähren sich weitgehend von Fleisch und Fisch. Ein Gegenbeispiel sind die südamerikanischen Yanonami, die weitgehend von Wurzeln und Gemüsen leben. Bei den Yanonami machen bestenfalls 10 Prozent tierische Fette den täglichen Speiseplan aus. Der menschliche Organismus scheint sich verschiedensten Ernährungsweise auch über lange Zeit anpassen zu können.
Die stark verarbeiteten und kohlenhydratreichen Lebensmittel, die in industrialisierten Ländern in Hülle und Fülle zur Verfügung stehen, scheinen schädlicher für die Gesundheit zu sein als alles, was die Natur an Nahrungsquellen bietet.
Mythen, wie
- „Kalorien sind Kalorien – gleichgültig woher sie stammen“,
- „Kohlenhydrate sind schädlich und machen dick“,
- oder „Bewegungsmangel macht dick.“
sind wegen ihrer einseitigen Betrachtungsweise wohl ebenso unhaltbar wie das häufig geäußerte Mantra, dass ein kohlenhydratreiches Frühstück lebenswichtig ist.
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Dass leere Kalorien nicht vergleichbar sind mit solchen, die für den Organismus wertvoll sind, ist längst bewiesen.
Ebenso ist wahr, dass leere Kohlenhydrate anders verstoffwechselt werden als komplexe Kohlenhydrate.
Trotzdem gilt: Die Umwandlung überschüssiger Kohlenhydrate aus der Nahrung in Fettdepots – egal, aus welcher Quelle die Kohlenhydrate stammen – ist durch die Wirkung von Kohlenhydraten auf den Blutzucker- und Insulinspiegel nicht zu verhindern.
Gewichtsverluste gelingen nur, wenn Du fortan versuchst, Deine Aufnahme von Kohlenhydraten weitestgehend zu drosseln.
Gibt es unerwünschte Nebenwirkungen bei LHCF?
Ja, die gibt es. Genau deswegen ist die Umstellung auf LCHF nicht jedem anzuraten.
In der Anfangs- und Umstellungsphase kann es bei LCHF durchaus zu Nebeneffekten kommen. Da diese Ernährungs- und Lebensweise besonders bei Übergewicht und Diabetes II sinnvoll ist, lohnt es sich für manchen Übergewichtigen, Nebenwirkungen zu überstehen.
Fakt ist: Schwangere Frauen sollten während der Schwangerschaft keine gravierenden Ernährungsumstellungen vornehmen – es sei denn, der Hausarzt rät das an und überwacht es. Natürlich ist klar, dass hier jemand aufschreien wird und sagt: „Aber warum die Schrotternährung weiter machen während man schwanger ist, anstatt dem Baby zuliebe auf eine Ernährung zu wechseln, die weniger Schrott beinhaltet?“. Diese Argumentation kann ich nachvollziehen, bin aber nicht in der Position, hier ein eindeutiges Urteil zu fällen bzw. gar Ratschläge zu geben. Siehe weiter unten auch das Beispiel der stillenden Mutter in Schweden, auch wenn das natürlich ein Einzelfall oder unabhängig von der Ernährung gewesen sein kann…
Für Kohlenhydrate-Junkies dürfte die Umstellung auf Low Carb High Fat am schwierigsten sein. Diabetikern, die Insulin spritzen oder in Tablettenform nehmen, wird angeraten, vor einer Umstellung mit ihrem Facharzt zu sprechen. Dann sollte man natürlich idealerweise auch einen Facharzt finden, der beim Thema ‚Diabetes und Ernährung‘ nicht borniert das alte Wissen herunterleiert, sondern sich mit verschiedenen Ernährungsweisen im Zusammenhang mit Diabetes befasst hat. Die Dosis des Insulin-Präparats muss nämlich meistens angepasst werden.
Der Kohlenhydratentzug wird oft durch Kopfschmerzen, schlechte Laune, Frösteln oder Mundgeruch begleitet.
In manchen Fällen kann es zu einer massiven Übersäuerung und einer Erhöhung der Ketonwerte im Körper kommen (7). Eine stillende Mutter aus Schweden fiel nach einer Umstellung auf LCHF durch schlechte Blutgaswerte, Herzrasen, Übelkeit, Muskelkrämpfe auf (8). Hier war augenscheinlich das Stillen in Verbindung mit der Ernährungsumstellung der Auslöser für die gesundheitliche Krise.
Daraus resultiert die wichtige Erkenntnis: Wenn der Stoffwechsel mit erhöhten Anforderungen konfrontiert ist – zum Beispiel bei einer chronischen Darmerkrankung, Diabetes Typ I oder Ähnlichem – sollte man die Umstellung auf LCHF genau abwägen oder ärztlich überwachen lassen.
Sind keine chronischen oder akuten Krankheiten bekannt, könnte eine LCHF-Ernährung durchaus einen Versuch wert sein, um Gewicht zu verlieren. Zu empfehlen ist in diesem Zusammenhang sicherlich auch der Besuch der Webseite LCHF.de von Annika Brettfeld-Rask, selber begeisterte Anhängerin von Low Carb High Fat, weil sie damit über 45kg abgenommen und gehalten hat – und zur Motivation anderer diese Webseite ins Leben rief.
Welche Erfahrungen hast Du mit LCHF, oder welche Fragen hast Du dazu? Hinterlasse am besten einen Kommentar unten in der Kommentarfunktion unterhalb dieses Beitrags.
Quellen:
1) http://www.docsopinion.com/2014/03/17/will-the-popularity-of-lchf-trigger-new-epidemic-of-heart-disease/
2) http://healthimpactnews.com/2013/sweden-becomes-first-western-nation-to-reject-low-fat-diet-dogma-in-favor-of-low-carb-high-fat-nutrition/
3) Samaha FF, Iqbal N, Seshadri P, et al. A low-carbohydrate as compared with a low-fat diet in severe obesity. N Engl J Med. 2003;348:2074-81.
4) Sacks FM, Bray GA, Carey VJ, et al. Comparison of weight-loss diets with different compositions of fat, protein, and carbohydrates. N Engl J Med. 2009;360:859-73.
5) http://authoritynutrition.com/low-carb-long-term/
6) http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/1550038
The role of breakfast in the treatment of obesity: a randomized clinical trial. Am J Clin Nutr. 1992 Mar;55(3):645-51.
7) http://www.jmedicalcasereports.com/content/9/1/224
Louise von Geijer und Magnus Ekelund – Ketoacidosis associated with low-carbohydrate diet in a non-diabetic lactating woman: a case report
8) http://www.t-online.de/lifestyle/gesundheit/id_75749302/ein-raetselhafter-patient-low-carb-diaet-mit-ueblen-nebenwirkungen.html
weitere Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%A4ttigung_%28Physiologie%29
1]Accurso, Anthony, et al. „Dietary carbohydrate restriction in type 2 diabetes mellitus and metabolic syndrome: time for a critical appraisal.“ Nutrition & metabolism 5.1 (2008): 9
[2] Bueno, Nassib Bezerra, et al. „Very-low-carbohydrate ketogenic diet v. low-fat diet for long-term weight loss: a meta-analysis of randomised controlled trials.“ British Journal of Nutrition 110.07 (2013): 1178-1187.